Seit einem Jahr ist das Zuwanderungsgesetz in Kraft. Große Hoffnungen begleiteten sein Entstehen ebenso wie große Skepsis. Die einen nennen es ein Jahrhundertgesetz, die anderen eine Mogelpackung. Damit man es als „wichtigen Reformschritt“ ansehen könnte - wie dies das BMI tut -, hätte es einer Überwindung der bisherigen Grundsätze des Ausländerrechts bedurft. Vom „Ordnungsrecht“, als welches das Ausländerrecht in Deutschland traditionell angesehen wird, weg hätte man es durchgängig als Integrationsrecht ausgestalten müssen. Die Grundüberlegung, dass man Ausländern nur ausnahmsweise und unter engen Kautelen den Aufenthalt in Deutschland erlauben dürfe, hätte der Erkenntnis Platz machen müssen, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist und der Aufenthalt von Ausländern in den Nationalstaaten ein selbstverständlicher und unverzichtbarer Teil des Globalisierungsprozesses ist. Von diesem Ansatz herkommend hätte der Schwerpunkt eines modernen Aufenthaltsgesetzes darin liegen müssen, das Zusammenleben von In- und Ausländern zu gestalten und die Integration zu fördern. Dies hätte nicht ausgeschlossen, den Aufenthalt von Ausländern an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen und ihn gegebenenfalls auch zwangsweise zu beenden. Der Schwerpunkt aber wäre ein anderer gewesen. So aber durchweht ein Hauch des Obrigkeitsstaates auch das neue Gesetz: Eine Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden, auch wenn der Aufenthalt nach modernem Rechtsverständnis eine Selbstverständlichkeit ist, wie etwa beim Aufenthaltsrecht eines minderjährigen Kindes oder eines Ehegatten. Wo aufgrund völkerrechtlicher Verträge die Aufenthaltserteilung zwingend ist, spricht der Gesetzgeber von einem „Aufenthalt aus humanitären Gründen“ und macht auch so seine Grundhaltung des „Gewährens“ deutlich. Zwar sind die jahrzehntelangen Versäumnisse einer mangelnden Integrationspolitik erkannt. Die Konsequenzen hieraus aber treffen vor allem den Ausländer. Dem wird eine Integrationslast auferlegt und mit Sanktionen gedroht. Dass eine Integration ein zweiseitiger Prozess ist, kommt bei diesem Ansatz zu kurz. Das alte Vorurteil, dass Ausländer vor allem eine Quelle von Gefahren sind, ist im Ausweisungsrecht und den sonstigen sicherheitsrechtlichen Bestimmungen mehr denn je zuvor zum Ausdruck gebracht worden. Schon im Vorfeld will man sich dieser „Gefährder“ entledigen. So soll es genügen, dass Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die eine Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, die ihrerseits den Terrorismus unterstützt. Wen verwundert es, dass nach den ersten Erfahrungen der Kontakt zu einer gefährlichen Person genügt, um das erweiterte Repressionsinstrumentarium (§ 54a AufenthG) in Gang zu setzen. Hinsichtlich der ausländischen Arbeitnehmer bleibt das Vorrangprinzip unangetastet und trägt nicht unwesentlich zur Schwarzarbeit bei. Die Neu-Zulassung zur nicht-selbständigen Erwerbstätigkeit entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Recht. Nur „Hochqualifizierte“ finden eine verbesserte Zugangssituation vor. Angesichts der insgesamt bescheidenen Rahmenbedingungen, die Ausländer in Deutschland vorfinden, wird dies im „Kampf um die besten Köpfe“ nicht genügen.
Diesen Schattenseiten stehen wenige Lichtblicke gegenüber. Die Rechtsstellung der Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention ist verbessert. Der Preis hierfür ist jedoch eine erhebliche Schlechterstellung der Asylberechtigten. Beide Personengruppen sind einem zwingenden Überprüfungsverfahren nach 3 Jahren ausgesetzt, mit der (nicht unbedingt sicheren) Perspektive einer Aufenthaltsverfestigung und der (wahrscheinlichen) Alternative einer Aufenthaltsbeendigung. Einen richtigen Schritt in die Zukunft unternimmt § 60 Abs. 1 AufenthG, der die „Anwendung“ der Genfer Flüchtlingskonvention vorsieht. Damit wird der Europäisierung des Asylrechts Rechnung getragen, die durch die Richtlinie 83/2004/EG - die sog. „Qualifikationsrichtlinie“ - ab Oktober 2006 (dies ist der späteste Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein muss) ohnedies zwingend ist. Die jetzigen Regelungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind mit der Richtlinie nicht deckungsgleich, aber weitgehend kompatibel. Anders jedoch verhält es sich mit der bisherigen Auslegungspraxis, die am „nationalen Sonderweg“, der bei § 51 Abs. 1 AuslG beschritten wurde, nur allzu gerne festhalten will. Der Wechsel von der Täterperspektive hin zur Opferperspektive und die Änderungen im Bereich der geschlechtsspezifischen und religiösen Verfolgung werden von der Anwendungspraxis nur zögerlich zur Kenntnis genommen. Lediglich die Tatsache, dass § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr die „Staatlichkeit der Verfolgung“ verlangt, ist in den Köpfen angelangt.
Daneben finden sich weitere kleinere Verbesserungen, etwa in § 16 Abs. 4 AufenthG, nach welchem Studenten nach erfolgreichem Abschluss des Studiums eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche erteilt werden kann und damit implizit auch eine anschließende qualifizierte Erwerbstätigkeit. Solchen Verbesserungen stehen jedoch ebenso viele Verschärfungen gegenüber, wie etwa der Verweis in das Asylfolgeverfahren durch §§ 20 Abs. 3, 22 Abs. 2 AsylVfG. Im Großen und Ganzen halten sich die Verbesserungen und Verschlechterungen die Waage. Dass das Gesetz gleichwohl kritisch gesehen werden muss, liegt daran, dass die Abkehr vom bisherigen Ausländer-Abwehrrecht zu einem Ausländer-Integrationsrecht nicht ernsthaft gewagt wurde.
Die nachstehenden Erläuterungen können und wollen nicht das gesamte neue Recht kommentieren. Ihr Gegenstand ist das Recht der Flüchtlinge im weitesten Sinne, also der Asylsuchenden und Asylberechtigten, der Flüchtlinge nach der GFK und jener, denen aus völkerrechtlichen oder „humanitären“ Gründen ein Aufenthaltsrecht zustehen müsste (und in der Praxis nach wie vor allzu oft nur eine Duldung zugebilligt wird). Diese Zielvorgabe bestimmte die Auswahl der erörterten Regelungen. Bei einigen Paragraphen fiel die Entscheidung nicht schwer, sie waren zwingend darzustellen. Schwieriger war die Frage, welche der Bestimmungen unkommentiert bleiben sollten. Ein Beispiel ist das Recht der Ausweisung. Obwohl es hier einige, erhebliche Verschärfungen gab, habe ich auf die Erläuterung dieser Bestimmungen verzichtet. Denn einerseits betreffen sie nur wenige Personen, andererseits bedürfen sie einer sehr detaillierten Auseinandersetzung, wenn sie über allgemeine Informationen, die schon der Lektüre des Gesetzestextes entnommen werden können, hinausgehen sollten. Dies hätte sehr ausführliche, juristische Darlegungen verlangt, die in diesem Buch verfehlt wären. Einen Schwerpunkt bildet die Darstellung der Härtefallregelung von § 23a AufenthG. Hier sind auch die Landesverordnungen und Ländererlasse abgedruckt, soweit es solche gibt. Der zweite Schwerpunkt ist § 60 Abs. 1 AufenthG, der eine neue Systematik verlangt. Da diese Systematik im Kern der Qualifikationsrichtlinie entspricht, die ohnedies bald als geltendes Recht anzuwenden ist, ist auch diese abgedruckt.
Der Adressatenkreis des Buches ist nicht der des Fachjuristen. Vielmehr ist es für die Ausländer und ihre Betreuer und Helfer geschrieben. Es will die Neuerungen aufzeigen und sie erläutern. Dass dabei eine wohlwollende Perspektive zugunsten der Betroffenen gewählt wurde, braucht nicht verschwiegen zu werden. Gleichwohl habe ich mich bemüht, keine Illusionen zu erzeugen und mich deshalb mit den Vorläufigen Anwendungshinweisen auseinandergesetzt, die für die Praxis wohl die Hauptquelle der Auslegung sind. Soweit ich die dort geäußerte Auffassung jedoch für falsch halte, habe ich dies deutlich gemacht und mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Dass diese manchmal nicht mit der sog. „herrschenden Meinung“ übereinstimmt, ist sicher zutreffend. Gleichwohl kann der eine oder andere Gedanke hilfreich sein, um eine frühzeitige Festlegung bei der Gesetzesinterpretation zu verhindern. Denn Recht muss eine flexible Materie sein, die den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung trägt. Nur für Betonköpfe ist der Grundsatz, dass man es schon immer so gemacht habe, ein übergeordnetes Gesetz.
Hubert Heinhold